Fightspotting

unsere Kinderbücher und das Leben, das wir sahen, haben uns was erzählt von Lokführern, Handwerkern, Metzgern, Lieferanten und Straßenarbeitern. jetzt stehen wir da, mit Hochschulreife und mit oder ohne akademischen Abschluss, irgendwo verloren zwischen Theorie und Verwertungslogik, und nur ganz manchmal fällt noch auf, wie künstlich und losgelöst vom Leben das alles ist.

wenn wir groß wären, dann würden wir mit einem coolen Auto spontane Trips in andere Städte machen, einkaufen, feiern und wieder nach Hause fahren, mit lauter Musik und offenen Fenstern. heute gibt es keine solchen Autos mehr, den Sprit können wir uns von den prekarisierten Jobs gar nicht mehr leisten, von einkaufen und feiern ganz zu schweigen.

wir sind die, deren Welt kein Gegenmodell mehr einbremst und die, die schon fast vergessen haben, dass es mal so war. der Grundschullebenslauf der Kinder muss dynamisch und zielstrebig sein, sonst klappt die Aufnahme auf der Wunschschule nicht, und so geht das immer weiter. nicht für die Schule, für unseren CV lernen und leben wir. sei herausragend angepasst, entschlossener und zielstrebiger Befehlsempfänger und glaube an die Illusion, du könntest irgendwohin aufsteigen, wenn du dich nur genug anstrengst.

das System, in dem wir aufgewachsen sind, frisst sich selbst auf, doch etwas anderes haben wir nicht gelernt. also Augen zu und durch, nicht hinschauen und hoffen, dass der große Knall erst kommt, wenn wir genug Schäfchen im Trockenen haben, oder wenigstens schon out-ge-burned den Löffel abgegeben haben.

ein anderes Dogma als Wachstum kennen wir nicht, doch nagt manchmal der Zweifel, dass es nicht endlos weitergehen kann. aber Stillstand ist doch Rückschritt, so hat man uns gelehrt. und Widerstand ist zwecklos. es besteht immer noch die Möglichkeit, dass die Skepsis unbegründet ist, also schön stillhalten, weiter funktionieren, Kopf einziehen und nicht unangenehm auffallen. Querköpfe und Individualisten sind nur als Vokabeln willkommen, damit sich unsere Unternehmen weltoffen geben können. in Wirklichkeit wird man ganz schnell ersetzt durch den nächsten Lebenspraktikanten mit Fristvertrag, wenn man nicht aufpasst und jemand aufmerksam auf einen wird.

nicht hochschauen und nicht drüber nachdenken. nicht auf die Möglichkeit einlassen, dass alles nur künstlich und Attitüde ist, denn damit würden wir gar nicht klarkommen. und hilflos wären wir auch, denn dadurch, dass alle mitspielen, wurde die Alternativlosigkeit Realität.

wir fühlen uns in der Schublade wohl, angeblich in keine Schublade zu passen. wir sind unglaublich frei, frei uns zu verkaufen, unsere Haut zu Markte zu tragen, uns komplett den Anforderungen anzupassen, die willkürlich an uns gestellt werden, oder unterzugehen.

wir sind aufgewachsen mit Trainspotting und Fight Club und schreiben unseren Frust doch nur in nihilistischen Monologen heraus, das wird uns langsam klar. wir sind ganz kurz vorm Ausrasten, aber wer braucht schön Lösungen, wenn er Heroin hat. und unser Heroin heißt Konsum, Angst vor Armut, wohlkalkulierter Individualismus und die Gewissheit, besser zu sein als die anderen.

über das größere Auto sind wir dabei längst erhaben. wir sind besser, da wir gebildeter sind, nicht faul sind und nicht schmarotzen, die höheren moralischen Standards haben, uns umweltbewusster, tierfreundlicher, fairtradender verhalten und jedes Jahr zu Weihnachten 200€ spenden.

an irgendetwas muss man sich schließlich festhalten, wenn die Unsicherheit groß genug geworden ist, jeden Tag kann alles weg sein, Job, Ersparnisse, Wohnung, Status, Freundeskreis und Zukunftsaussichten.

mit fest zusammengekniffenen Augen und sich langsam lösenden Schrauben immer schneller voran.
und kein Tyler Durden weit und breit, dem wir an unserer Statt in den Mund schießen könnten, um den Albtraum zu beenden.

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